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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 29.07.2004
Aktenzeichen: 3 Ss 59/04
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 261 | |
StPO § 267 Abs. 1 |
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 3. Strafsenat
wegen Computerbetrugs u.a.
Beschluss vom 29. Juli 2004
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts - 5. Kleine Strafkammer - K. vom 09. Februar 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts K. zurückverwiesen. Gründe:
I.
Das Amtsgericht -Strafrichter- S. verurteilte den Angeklagten am 15.08.2003 wegen Diebstahls und wegen zweier tatmehrheitlicher Fälle des Computerbetrugs zu der Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten. Seine hiergegen eingelegte Berufung verwarf das Landgerichts K. mit Urteil vom 09.02.2004.
Nach den Feststellungen der Strafkammer habe der Angeklagte am 28.05.2002 aus dem Behandlungszimmer der Logopädin K. in der Praxis R. in S. deren Geldbörse, in der sich u.a. eine Euroscheckkarte der Sparkasse S. nebst einem Zettel mit der dazu gehörenden Geheimnummer befand, entwendet. Noch am selben Tag habe der Angeklagte mit der Euroscheckkarte unter Verwendung der Geheimnummer am Geldautomaten der Sparkasse in der H.-Straße EUR 1000 abgehoben. Am 29.05.2002 habe der Angeklagte auf die gleiche Weise nochmals EUR 1000 am Geldautomaten der Sparkasse in der E. Straße abgehoben.
Mit der gegen das Urteil erhobenen, auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision begehrt der Angeklagte die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zu neuer Verhandlung und Entscheidung.
Die Generalstaatsanwaltschaft trägt auf Verwerfung des Rechtsmittels an.
II.
Der Revision des Angeklagten hat - vorläufigen - Erfolg. Die Würdigung der Beweise, auf die die Strafkammer ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten stützt, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Die Würdigung der Beweise ist allerdings grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Dem Revisionsgericht ist es verwehrt die - auf dem Ergebnis der Hauptverhandlung beruhende - Beweiswürdigung des Tatrichters durch eine eigene zu ersetzen. Aufgabe des Revisionsgerichts bleibt es jedoch, die tatrichterliche Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung auf Rechtsfehler zu überprüfen.
Als ein dem sachlichen Recht zuzurechnender Mangel ist es anzusehen, wenn die Tatsachenfeststellungen und/oder die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar, lückenhaft sind oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen. Der Tatrichter muss die für seine Überzeugungsbildung verwerteten Beweisanzeichen lückenlos zusammenfügen und unter allen für ihre Beurteilung maßgeblichen Gesichtspunkten würdigen. Insbesondere hat das Tatgericht die Beweise erschöpfend zu würdigen, naheliegende und sich deshalb aufdrängende Möglichkeiten einer anderweitigen Gestaltung des Sachverhaltes zu erwägen (vgl. nur Meyer-Goßner StPO 47. Aufl. § 337 Rdnr. 26 ff. m.z.N.).
Zwar dürfen die Anforderungen an das Zustandekommen der tatrichterlichen Überzeugung gemäß § 261 StPO nicht überspannt werden. Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Tatrichters setzt jedoch objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich (BGH StV 1993, 510 = BGHR StPO § 261 Vermutung 11; StV 1995, 453 f.). Die aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung folgende Bindung des Revisionsgerichts an nur mögliche Schlussfolgerungen des Tatrichters (BGHSt 29, 18, 20; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 5) findet dort ihre Grenze, wo sich diese so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie nur noch den Verdacht, nicht dagegen die für eine Verurteilung erforderliche Überzeugung zu begründen vermögen (Senat Die Justiz 2001, 364; BGH NStZ 1981, 33; NStZ 1986, 373; BayObLG StraFo 2000, 263 ff.).
Bei Anlegung dieses Maßstabes kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.
Ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten, der zwar einräumt, am Tattag in der Praxis gewesen zu sein, die ihm zur Last gelegten Taten aber als solche bestreitet und der insbesondere bei dem verfahrensgegenständlichen Diebstahl selbst nicht beobachtet worden war, stützt die Strafkammer im Wesentlichen auf folgende Tatsachen, ohne aber die Umstände hinreichend zu würdigen, die Schlüsse zugunsten des Angeklagten zulassen:
- die Anwesenheit des Angeklagten am Tattag zur Tatzeit in der genannten Praxis zwecks Behandlung seines Sohnes T. Dabei teilt die Strafkammer aber weder den Zeitpunkt und die Dauer der Behandlung konkret mit, noch setzt sie diese zu dem - von der Geschädigten K. ohnedies nur vermuteten - Zeitpunkt und Ort des Diebstahls - aus ihrem unverschlossenen Behandlungszimmer etwa zwischen 12.15 und 13.15 Uhr - in Bezug; auch verhalten sich die Urteilsgründe nicht näher dazu, dass das bzw. die Behandlungszimmer im dritten Stock der Praxis liegen, das Wartezimmer sich aber im zweiten Stock befindet.
- den in dieser Schlichtheit nicht tragfähigen Umstand, dass die Therapeutin G. zweimal an Tagen bestohlen worden sei, an denen der Sohn T. dort Termine hatte;
- den - ebenso allenfalls untergeordneten Indizwert beinhaltenden - Umstand, dass sich der Angeklagte damals des öfteren bei den Behandlungszimmern im dritten Stock aufgehalten und hierzu angegeben habe, die Therapeutin zu suchen, ohne diese aber darauf anzusprechen;
- den Umstand, dass die Therapeutin B. dem Angeklagten einmal im zweiten Stock begegnet sei, als T. schon länger nicht mehr in Therapie gewesen sei, der Angeklagte sie aber nicht angesprochen habe, obwohl er sie, wie sie im Sekretariat erfahren habe, gesucht habe.
Demgegenüber sieht die Strafkammer zwar, dass sowohl die Praxis, als auch das fragliche Behandlungszimmer unverschlossen waren, vernachlässigt diese Gesichtspunkte indes bei der gebotenen Gesamtwürdigung der Beweise. Auch trifft sie keine Feststellungen dazu, wie viele Mitarbeiter die Praxis zur Tatzeit hatte (zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung belief sich deren Zahl ausweislich der Urteilsgründe auf immerhin 19), insbesondere nicht dazu, wie viele Patienten am Tattag die Praxis durchliefen. Mit dadurch bedingten naheliegenden anderen Möglichkeiten des verfahrensgegen-ständlichen Geschehensablaufes setzt sich die Strafkammer nicht auseinander. Auch den konkreten Zeitpunkt der ersten Geldabhebung am 28.05.2002 teilt die Kammer nicht mit.
Letztlich waren für die Überzeugung der Strafkammer bzw. den Nachweis der Täterschaft des Angeklagten "der Pullover des Angeklagten und dessen Tragweise" maßgeblich. Das Strickmuster des Pullovers bezeichnet sie als "auffallend", die Trageweise - in den Hosenbund gesteckt - als "ungewöhnlich". Die Strafkammer gelangt zu dem Schluss, dass der Pullover, "den der Angeklagte mehr als ein halbes Jahr später getragen habe, als er wegen Verdachts von Wohnungseinbrüchen vorläufig festgenommen wurde", identisch mit dem Pullover sei, den der - vermummte - Täter, der am 28.05.2002 am Geldautomaten der Sparkasse mit der Euroscheckkarte der Geschädigten Geld abhob und dabei von der Überwachungskamera aufgenommen wurde, getragen habe. Auch hierzu sind die Gründe des Urteil ungenügend:
Weder nehmen die Urteilsgründe in einer nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO wirksamen Weise auf die Beweisfotos bzw. die von dem ermittelnden KHM W. S. gefertigten Vergleichsfotos Bezug; die bloße Angabe der Aktenseite, auf der sich die Beweisfotos befinden, genügt ebenso wenig wie die Mitteilung, dass die Lichtbilder in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen worden sind; vielmehr muss der Tatrichter die Verweisung so eindeutig und zweifelsfrei zum Ausdruck bringen , dass unmissverständlich deutlich wird, dass die Abbildung als solche neben den schriftlichen Ausführungen Teil der Entscheidungsgründe sein soll (vgl. hierzu etwa Senat B. v. 03.07.2002 - 3 Ss 74/02 -; vgl. im Übrigen nur Meyer-Goßner a.a.O. § 267 Rdnr. 8 m.w.N.). Hieran fehlt es vorliegend.
Eine - bei dieser Sachlage dann aber gebotene - ausreichende beschreibende Darstellung des jeweiligen Abbildungsinhaltes der fragliche Lichtbilder lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Unterbleibt eine prozessordnungsgemäße Verweisung auf ein Beweisfoto, so muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität, insbesondere zur Bildschärfe enthalten und die abgebildete Person, hier insbesondere den von dieser getragenen Pullover, und insoweit jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale in ihren charakteristischen Eigenarten so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird (vgl. näher BGHSt 41, 376, 384 f.). Vorausgesetzt wird außerdem die Mitteilung, ob es sich bei der abgebildeten Person um eine männliche oder weibliche handelt. An alledem mangelt es vorliegend.
Lapidare Feststellungen zu dem von dem Täter getragenen Pullover - wie sie hier die Kammer getroffenen hat -,
- "das Strickmuster des Pullovers habe solche Streifen an Brust und rechter Schulter" wie der vom Angeklagten ein halbes Jahr später getragene Pullover,
- auf einem gefertigten Vergleichsfoto "komme der Pullover des Angeklagten so heraus wie der Pullover des Täters und anders als auf dem Fahndungsfoto, das den Angeklagten mit dem Pullover zeigt",
sind ungeeignet, geschweige denn ermöglichen sie es dem Senat, die Überzeugungsbildung der Strafkammer in der gebotenen Weise nachzuvollziehen bzw. zu überprüfen. Die bloße Bewertung des Strickmusters des Pullovers als "auffallend" und die der Trageweise als "ungewöhnlich" genügt nicht.
Hinzu kommt, dass nach den Feststellungen der Strafkammer Vergleichszahlen zum Vorhandensein derartiger Pullover und zur von der Kammer als ungewöhnlich gewerteten Trageweise nicht bekannt sind. Dies relativiert die Aussagekraft dieser Beweisanzeichen entscheidend.
Dass der Angeklagte am Tattag, etwa schon in der Praxis einen in den Hosenbund gesteckten auffallenden Pullover getragen habe, stellt die Kammer, sieht man von dem Rückschluss ab, den die Kammer aus den sich ein halbes Jahr später ereignenden Vorgängen auf den Tattag zieht, nicht fest. Diesem Umstand, wäre er erwiesen, könnte freilich, je nach zeitlicher Nähe zur ersten Geldabhebung, deren Zeitpunkt allerdings ebenfalls nicht festgestellt ist, indizielles Gewicht beigemessen werden.
Darüber hinaus wurde zur Herkunft des - nach Angaben des Angeklagten ihm von seiner Ehefrau geschenkten - Pullovers lediglich beim Kaufhaus Woolworth in Singen - mit negativem Ergebnis - nachgeforscht, wobei nach den Urteilsgründen offen bleibt, ob der Angeklagte überhaupt das dortige Kaufhaus als Verkäufer benannt hatte. Abgesehen davon, könnte auf eine als widerlegt erachtete Einlassung des Angeklagten die Überzeugung von dessen Täterschaft nicht bzw. nur mit großem Vorbehalt gestützt werden (BGH NStZ 1986, 325; StV 1994, 175; NJW 2002, 2260).
Die Folgerungen der Strafkammer entbehren nach alledem - auch bei einer Gesamtschau der angeführten Beweisanzeichen - einer objektiven, tragfähigen, eine hohe Wahrscheinlichkeit der Täterschaft des Angeklagten vermittelnden Grundlage.
III.
Auf den aufgezeigten sachlich-rechtlichen Fehlern kann das Urteil der Strafkammer beruhen (§ 337 Abs. 1 StPO). Das Urteil ist daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 1 und 2 StPO). Da kein Fall vorliegt, in dem der Senat in der Sache selbst entscheiden könnte (§ 354 Abs. 1 StPO), und da weitere Feststellungen möglich erscheinen, ist die Sache zur erneuten tatrichterlichen Prüfung an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts K. zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO). Diese wird auch über die Kosten des Rechtsmittels zu befinden haben.
Ende der Entscheidung
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